Kontakt
platou- plattform für
architektur im tourismus
Burggasse 28-32/10
A-1070 Wien
t 0043 (0) 699 19 23 96 09
f 0043 (0)1 92 39 609
office@platou.at
www.platou.at

Impressum

Zum Thema: Baukultur und Architekturpolitik

Volker Dienst, DI

erschienen in: ARGE Baukulturreport (Hrsg.): Baukulturreport 2006, Teil 1 – Empfehlungen, Kapitel 1.4, Wien 2006, S. 17-22.

Was verstehen wir unter „Baukultur“?
Baukultur schafft und sichert Lebensqualität. Sie betrifft daher alle Menschen, weil diese von der gebauten bzw. gestalteten Umwelt beeinflusst, geprägt und verändert werden, so wie sie auch diese beeinflussen, prägen und verändern. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht sind die mit Abstand größten Lebenskosten bzw. Lebensinvestitionen der ÖsterreicherInnen jene, die unter dem Begriff „Baukultur“ subsumiert werden: allen voran die Wohn- und Betriebskosten, aber auch die Schaffung von Eigentumswohnungen, Eigenheimen, Eigengärten oder Ferienwohnungen usw. Nach wie vor gehört das „Häuselbauen“ oder das Bestellen eines eigenen kleinen Gartens zu den sehnlichsten Lebenswünschen in unserem Land. Dafür wird enorm viel Lebenszeit eingesetzt, und manche gehen dafür auch an die Grenze ihrer Existenz. Derartige Investitionen sind oft generationsübergreifend, denkt man beispielsweise an den „Bausparvertrag für’s Enkerl“, der vielen jungen ÖsterreicherInnen bereits in die Wiege gelegt wird. Rund 70% des gesamten österreichischen Anlagevermögens entfällt auf Bauten bzw. Immobilien.

Kaum zu glauben, dass es angesichts dieses hohen Stellenwertes weder eine/n Baukulturverantwortliche/n in der Österreichischen Bundesregierung gibt noch eine bundesweit und ressortübergreifend koordinierende Verwaltungsinstitution und auch kein „Nationales Institut für Baukultur“ zur Wahrung der NutzerInneninteressen. Auch in den parlamentarischen Ausschüssen im Nationalrat wird Baukultur nicht als Querschnittsmaterie behandelt. Für die politischen Entscheidungsprozesse wäre es daher wesentlich, Baukultur bewusst als ressortübergreifendes Anliegen wahrzunehmen und zu koordinieren. Die notwendige Formulierung und konsequente Umsetzung einer zukunftsorientierten Architekturpolitik erfordert jedoch, die Begriffe „Baukultur“ und „Architekturpolitik“ zu definieren.

Es gibt viele Definitionen des Begriffs „Baukultur“, einige sehr gute sind auch im vorliegenden Report zu finden. Während der Begriff „Bau“ relativ klar als gebaute bzw. vom Menschen geschaffene Umwelt definiert werden kann, scheint es bei der Definition von „Kultur“ eine Vielzahl an Interpretationen zu geben. Wurde bis ins 20. Jahrhundert Kultur als Gegensatz zum Banalen und Alltäglichen definiert – quasi als elitäre, sich abhebende Hochkultur, mit gestalterisch-künstlerischem oder intellektuellem Anspruch –, so weitete sich der Begriff im 20. Jahrhundert im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft auf das gesamte menschliche Schaffen, ohne Anspruch auf Wertigkeiten, aus. Für die Formulierung architekturpolitischer Ziele erscheinen aber die Definition von Qualitätsmerkmalen und Qualitätsstandards sowie deren permanente Weiterentwicklung in all der gebotenen Vielfalt wesentlich. Aktuelle, deskriptive Definitionen verstehen unter „Baukultur“ „das koordinierte System des Wissens, der Regeln und der Prozesse, das von den Menschen geteilt wird, die an Bauaktivitäten beteiligt sind, und das die Form von Gebäuden und Städten determiniert“ (Howard Davis:The Culture of Building, New York 1999). Es wäre aber zu wenig,„Baukultur“ nur auf jenen Teil einer Kultur zu beschränken, der mit Bauen größtenteils auf professioneller Ebene zu tun hat. In Österreich hat sich im Zuge der architekturpolitischen Diskussion der letzten Jahre herausgestellt, dass Baukultur nicht nur als ExpertInnenkultur zu verstehen ist, sondern als eine die gesamte Bevölkerung betreffende Querschnittsmaterie, weshalb auch den Interessen der BenutzerInnen ein entsprechender Stellenwert einzuräumen ist. Es kann nicht nur eine einzige nationale „Baukultur“ geben, weil heutige Kulturen heterogen, ja geradezu gegensätzlich sind und nicht zuletzt aus dieser Vielfalt ihre Kraft schöpfen.

Die Definition bei Wikipedia trifft es hier schon viel genauer:„Unter Baukultur verstehtman die Herstellung von gebauter Umwelt und den Umgang damit. Baukultur – nicht zu verwechseln mit Baukunst – bezeichnet also nicht nur die Architektur, sondern alles Gebaute: Brücken, Straßen, Tunnel (vgl.Verkehrsinfrastruktur). Das Thema betrifft nicht nur die professionellen PlanerInnen, sondern alle Menschen, die mit der gebauten Umwelt konfrontiert werden. Auch die Verantwortung für die Qualität der gebauten Umwelt liegt nicht allein bei den Fachleuten, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Baukultur)

Wird in den Beiträgen des Baukulturreports 2006 von „Baukultur“ gesprochen, so liegt dem zumeist ein normativer Ansatz zugrunde. Dabei wird ein zukünftiger, besserer Zustand einer Baukultur beschrieben, der durch strategische Programme und geeignete Maßnahmen erreicht werden soll. Im Gegensatz zum bloß „Gebauten“ (ohne Qualitätsanspruch in Planung und Ausführung) verschafft Baukultur den Menschen einen Mehrwert in ihrem Lebensumfeld, basierend auf einem gesellschaftlichen Konsens über die gebaute Umwelt und deren Qualität.

Unter dem Begriff „Baukultur“ ist daher das klare Bekenntnis einer Gesellschaft zur Qualität der gebauten bzw. gestalteten Umwelt zu verstehen. Wesentlich dabei sind die Qualität der Bauprozesse und die „Gerechtigkeit“ der Verfahren, die zur Umsetzung führen.

Die Qualität der Prozesse beginnt bei der Projektvorbereitung, der Definition der Rahmenbedingungen und der Zielsetzungen sowie der Projektentwicklung, geht über die Wettbewerbs-, Vergabe- und Planungskultur, führt zu Umsetzung, Vermittlung und Nutzung der Projekte und endet mit der Entsorgung. Für die Beurteilung sind daher nicht die Errichtungskosten, sondern die Lebenszykluskosten relevant. Die fachliche Kompetenz, ein partnerschaftlicher Umgang, faire wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Kommunikation zwischen BauherrInnen, PlanerInnen und NutzerInnen sind für den Erfolg eines Projektes ausschlaggebend.

Die gezielte Förderung, beispielsweise durch gesetzliche Verankerung einer interdisziplinären und qualitativ hochwertigen Planungskultur, die durch die ExpertInnen der Bereiche Architektur, Raum- und Stadtplanung, Ingenieurbaukunst und Baumanagement, Landschafts- und Freiraumplanung, Bauphysik und Klima-Engineering, Denkmalpflege, Soziologie und viele mehr sowie durch deren profunde und umfassende Ausbildung getragen wird, ist ebenso wichtig wie die Sicherstellung eines hohen handwerklichen Niveaus und die Umsetzungsqualität durch Gewerbe und Bauindustrie.

Weitere wesentliche Aspekte sind die Wahrnehmung der BauherrInnenverantwortung und die Sicherstellung fachlicher Kompetenz bei öffentlichen und privaten AuftraggeberInnen ebenso wie bei Investoren. Fundament jeder Baukultur ist ein in der Bevölkerung breit angelegtes Grundverständnis bzw. ein Bewusstsein für räumliche und gestalterische Qualitäten des Lebensumfeldes und die daraus resultierende Mündigkeit der BürgerInnen. Baukultur konkretisiert sich immer an einem Ort und ist daher maßgeblich mitbestimmend für dessen Identität. So gesehen schafft Baukultur „Heimat“.

Baukultur ist ein permanenter Prozess, der aktiv weiterentwickelt werden muss, und manifestiert sich in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft für ihre Umwelt und deren Pflege. Dies schließt die Förderung anspruchsvoller zeitgenössischer Architektur und Ingenieurbaukunst ebenso ein wie die Erhaltung unseres reichen Kulturerbes. Baukultur findet ihren Ausdruck im verantwortungsvollen und ressourcenschonenden Einsatz von Grund und Boden sowie von Rohstoffen und Energie. Sie umfasst den Umgang mit den vorhandenen urbanen und ländlichen Siedlungsräumen und inkludiert auch die Qualität und Nachhaltigkeit der Infrastruktur sowie der gestalteten Natur- und Freiräume.

Baukultur darf nicht auf Kunst und Kultur allein reduziert werden, auch wenn die baukünstlerische Qualität einen wichtigen Parameter darstellt. Baukultur muss gesamtheitlich und interdisziplinär wahrgenommen werden. Nicht nur Ästhetik, Funktionalität und räumliche Qualität eines Bauwerkes oder einer urbanen Entwicklung sind von Interesse, sondern ebenso die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte und deren Nachhaltigkeit. Nicht die Optimierung eines einzigen Bereiches zählt, sondern die ausgewogene Berücksichtigung aller Teilbereiche.

über den Autor:
Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien, sowie an der University of Michigan bei Ann Arbor. 1995 Diplom an der TU-Wien. 2002 Initiator der “Plattform für Architekturpolitik und Baukultur”, die in Österreich für eine engagierte Architekturpolitik eintritt. Seit 2005 ist er gemeinsam mit Barbara Feller und Roland Gruber Sprecher der Plattform und mit Dr. Hartmut Chromy Geschäftsführer für den Baulkulturreport 2006 der Republik Österreich.

Volker Dienst // 25. Februar 2010

keine Kommentare

Gib einen Kommentar ab